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Wirtschafts Woche Magazin Nr. 46 vom 09.11.2000, S. 88



Milliardengrab Deutsche Bahn

Bahnchef Hartmut Mehdorn muss weitere 70000 Mitarbeiter entlassen, wenn er das marode Staatsunternehmen retten will.

Linker Hand fliegt der Nordschwarzwald vorbei, rechts in der Ferne liegen die Vogesen. Hartmut Mehdorn genießt die Fahrt im ICE 775 Breisgau von Frankfurt/Main nach Karlsruhe. „Ich sage nicht, dass aus der Bahn ein Goldesel wird“, träumt er bei Tempo 250 durchs Rheintal. „Aber eine Kapitalrendite von zehn Prozent ist machbar.“

Noch nie war der Chef der Deutschen Bahn von seinem Traum beim Amtsantritt am 16. Dezember 1999 so weit entfernt wie diese Woche. Anstelle der vor knapp einem Jahr erwarteten 4,2 Milliarden Mark Gewinn für 2004 befürchten Unternehmensberater von McKinsey jetzt einen mickrigen Überschuss von 240 Millionen Mark. Statt 10,6 Milliarden Mark Profit anzuhäufen, mache die Bahn bis 2004 insgesamt rund 2,3 Milliarden Miese. „Eine Katastrophe“, so Bundesverkehrsminister Reinhard Klimmt, damit sei der für 2004 geplante Börsengang „vom Tisch“. Die Bahn ist endgültig zum Sanierungsfall geworden. Zur Rettung müssen bis 2005, so interne Schätzungen, von den gegenwärtig rund 230000 Beschäftigten weitere 70000 das Unternehmen verlassen – nachdem in den zurückliegenden sechs Jahren rund 90000 Mitarbeiter gehen mussten.

Die Botschaft der McKinsey-Berater, die seit dem 19. Oktober die Bahn durchleuchten, hat jedoch nur vorläufigen Charakter. Sie gibt lediglich wider, in welchem Maß die schnell erhobenen, aktuellen Einschätzungen der Bereichsleiter von jener Mittelfristplanung abweichen, die Mehdorn vor knapp einem Jahr und noch frisch im Amt mitverabschiedete. Entsprechend dürr fällt die Begründung in dem vierseitigen McKinsey-Papier aus, das der WirtschaftsWoche vorliegt:

--- Die Umsätze seien vor Jahresfrist „zu optimistisch“ geschätzt worden;
die erwarteten Kosteneinsparungen hätten sich als „unrealistisch“ erwiesen;
die angenommenen Aufwendungen für Instandhaltung und Ersatzinvestitionen ins Schienennetz seien „zu gering“ angesetzt worden;
Projektüberschreitungskosten seien „nicht berücksichtigt“ worden;
der Grund für die revidierten Prognosen liege in der „Planungskultur“ der Deutschen Bahn.

Mit ihrer Einschätzung stehen die McKinsey-Leute nicht allein. In die gleiche Kerbe schlägt der Bericht, den Bundesverkehrsminister Klimmt diesen Mittwoch im Bundeskabinett vorstellte. Die Bahn, heißt es dort, habe keines der Ziele erreicht, die mit der Reform des Staatsunternehmens 1994 verfolgt wurden. Die Produktivität sei nicht genügend gestiegen, sondern einzig dem Stellenabbau zu verdanken. Dem Güterverkehr drohe ein weiterer Verlust von Marktanteilen. Mehr Wettbewerb auf der Schiene gebe es nur in Ansätzen.

Mehdorn geht schweren Zeiten entgegen. Die hätte die Bahn nach der nach der Entschuldung und Umwandlung der Bahn in eine Aktiengesellschaft mit fünf rechtlich selbständigen Töchtern eigentlich hinter sich haben sollen: Der Güterzugverkehr war der DB Cargo, der Personenfernverkehr der DB Reise & Touristik und das Management der Bahnhöfe der DB Station & Service übertragen worden. Den Personennahverkehr lag bei der DB Regio, die nur noch im Auftrag der Bundesländer fuhr. Neuer Kern der Bahn wurde die DB Netz, die das Schienennetz betreibt und gegen Bezahlung zur Verfügung stellt.

Doch Mehdorn ahnte offenbar schnell, dass diese Reform in ein neuerliches Milliardenloch münden würde. Bereits im Januar deutete er vor Verkehrsexperten des Bundestages an, ohne die genauen Zahlen zu kennen, dass von 2001 bis 2004 Verluste Schulden von insgesamt 20 Milliarden Mark drohten, womit das Eigenkapital aufgezehrt wäre.

Die Hauptschuld an der Misere trifft Mehdorns Vorgänger, den ehemaligen Wirtschaftsstaatsekretär Johannes Ludewig und den einstigen AEG-Sanierer Heinz Dürr. Ihnen war es zu keiner Zeit gelungen, aus den Möglichkeiten der Reform und den teilweise günstigen Marktverhältnissen Kapital zu schlagen. So profitierte die Bahn praktisch nicht von der zunehmenden Mobilität der Deutschen. Der Regional- und S-Bahnverkehr stagniert seit dem zweiten Jahr der Bahnreform bei rund 74 Milliarden Personenkilometern, nachdem er zuvor stetig gestiegen war. Die Fernzüge (Intercity, Interregio, ICE) befördern nicht mehr Reisende als vor zehn Jahren. Erst recht rauschte der Transportboom im Güterverkehr an dem Staatsunternehmen vorbei. Insgesamt 15 Prozent mehr Waren werden heute über längere Strecken durch Deutschland befördert als zu Beginn der neunziger Jahre. Die Bahn kommt außerhalb des Lkw-Nahverkehrs jedoch nur noch bei weniger als einem Fünftel der Tonnage zum Zuge – gegenüber einem Viertel im Jahr 1991.

Zum Fass ohne Boden droht trotz rechtlicher Ausgliederung das 37500 Kilometer lange Schienennetz zu werden. Mit einem Wiederbeschaffungswert von rund 300 Milliarden bis 400 Milliarden Mark stehen die Gleisanlagen bei der Bahn in den Büchern, die jährlichen Kosten belaufen sich auf elf bis 15 Milliarden Mark. Statt den Bestand in Schuss zu halten, flossen die Milliarden jedoch vor allem in Prestigeobjekte wie den Knotenpunkt Berlin, den Leipziger Bahnhof oder neue ICE-Strecken ohne Aussicht auf ausreichend Fahrgäste. „Drei oder vier von der Art“, stöhnt ein Vorstandsmitglied, „und der Laden kann dichtmachen.“

Die Folgen schlagen unmittelbar auf die Attraktivität der Bahn durch. 1997 mussten die Züge noch 1830 Stellen zwischen Rhein und Oder langsamer befahren, weil die Gleise marode waren. Heute zuckeln die Waggons bereits an 2300 reparaturbedürftigen Punkten im Schneckentempo durch die Lande.

Jetzt rächt sich, dass die einstige Mammutbehörde die Milliardenbeträge, die sie vom Bund erhielt, bis heute zu wenig nach privatwirtschaftlichen, am Gewinn orientierten Kriterien investieren kann. So wurden alle großen Neubauprojekte, die der zwischen Provinzfürsten und Hinterbänklern ausgekungelte Bundesverkehrswegeplan vorsah, der neuen Aktiengesellschaft einfach übergestülpt. Dazu gab es die Projekte „Deutsche Einheit“, so der damalige Sekretär der Regierungskommission Bundesbahn und heutige Unternehmensberater Gottfried Ilgmann, die „spontihaft“ in die Lande geplant wurden – „ohne sich auf ein Konzept zu stützen, wie aus den knapp 40000 Kilometer Bestandnetz der Bahn ein Geschäft werden könnte.“

Fatal auch für Bahn-Chef Mehdorn: Die Uraltplanungen sind unumstößlich, weil politisch gewollt. Die „überflüssige“ Neubaustrecke von München über Ingolstadt sei zum „Besitzstand Bayerns“, die Schneise von Nürnberg nach Erfurt, die „unsinnigste“ ihrer Art, zum „Besitzstands Thüringens“ geworden, spottet Berater Ilgmann.

Je länger aber das Nobelnetz wird, desto mehr ist der Schienenriese gezwungen, mit den Kosten wie auf einem Verschiebebahnhof zu verfahren. Die Personenfernverkehrstochter DB Reise & Touristik muss zum Beispiel auf der Strecke Göttingen-Fulda, über die alle 20 Minuten ein ICE aus Hamburg oder Berlin donnert, nur sechs Mark pro Zug und Kilometer an das Schwesterunternehmen DB Netz zahlen. Das verhalf ihr im vergangenen Jahr zwar zu 4,4 Milliarden Euro (rund 8,6 Milliarden Mark) Umsatz und einem bescheidenen Gewinn in Höhe von 91 Millionen Euro (knapp 180 Millionen Mark).

Doch die Kalkulation ist geschönt. Denn die Trassenpreise für den ICE reichen nicht aus, die laufenden Netzkosten auszugleichen, selbst wenn der Bund der Bahn die neuen Rennstrecken teilweise schenkt. Dazu sind allein die Aufwendungen für den Betrieb, die Wartung und Instandhaltung zu hoch. Auch der Obolus, den die nachts auf den ICE-Strecken verkehrenden Güterzüge entrichten, ändert daran wenig. Kommen Zinsen und Geldbeschaffungskosten des Bundes dazu, finanzieren die grauen Flitzer gar nur noch rund fünf Prozent ihrer tatsächlichen Wegekosten.

Damit weckt die Bahn aber Zweifel an der Wirtschaftlichkeit ihren hochgelobten Hightech-Zügen selbst. Denn die horrende Quersubventionierung durch die Netztochter hat zur Folge, dass die Trassenpreise bei einer ICE-Fahrkarte nur zwischen acht und 16 Prozent zu Buche schlagen. Den Rest verschlingen die teuren Fahrzeuge, das Personal und die Organisation. Als Gewinn bleiben im Personenfernverkehr durchschnittlich nur noch zwei Prozent von jeder eingenommenen Mark.

Auf finanziell unsicheren Füßen steht selbst der große Gewinnbringer der Bahn, der öffentliche Schienenpersonennahverkehr, den die Konzerntochter DB Regio im Auftrag der Bundesländer erbringt. Diese überwiesen dem Staatsunternehmen vergangenes Jahr für die Fahrten der Regional- und S-Bahnen rund acht Milliarden Euro (knapp 16 Milliarden Mark), etwas mehr als die Hälfte der gesamten Bahneinnahmen. Ob die Steuergelder künftig so weitersprudeln, ist jedoch mehr als fraglich.

So bleibt auch den nahverkehrsfreundlichsten Landesregierungen nicht mehr verborgen, dass die Deutsche Bahn bei ihnen – dank einer monopolartigen Stellung – die höchsten Trassenpreise kassiert. Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Ernst Schwanhold hat der Bahn bereits mit einer härteren Gangart bei den nächsten Preisverhandlungen gedroht.

Zugleich muss Bahnchef Mehdorn damit rechnen, dass seine Cash-Cow Nahverkehr wenn nicht ganze Aufträge, so doch zumindest Einnahmen verliert, weil Wettbewerber ihm angestammte Linien streitig machen. So werden bundesweit in den kommenden zehn Jahren Nahverkehrsleistungen im Wert von mehreren Milliarden neu vergeben. Mit Sicherheit bekommt es die Bahn dann auch mit der Connex-Gruppe zu tun, einer Enkelin des französischen Verkehrs- und Versorgungskonzerns Vivendi. „Die sind mit großem Geld dabei, sich hier in Deutschland strategisch einen Platz zu sichern“, klagt Mehdorn über die Konkurrenz jenseits des Rheins. „Wir können das nicht in Frankreich, weil wir da nicht fahren dürfen.“

Am schnellsten muss Deutschlands oberster Eisenbahner (Mehdorn: „Eine ganz hohe Priorität“) bei seinem Verlustbringer umsteuern, dem Geschäftsbereich DB Cargo. Denn viele Probleme sind hausgemacht, von einer Wettbewerbsbenachteiligung gegenüber der Straße kann dank niedriger Trassenpreis kaum die Rede sein . „Wir müssen die Logistikfähigkeit widerhestellen“. Nach einem Konzept des neuen DB-Cargo-Chefs Bernd Malmström wird die Güterbahn sehr stark an Branchenbedürnissen ausgerichtet werden und aller Voraussicht nach fast nur noch mit einheitlicher Ladung durch die Lande rollen. „Einzelwaggons, die aufwendig abgehängt und rangiert müssen“, glaubt ein Vorstand, „wird es kaum noch geben.“ Besonders schmerzt Mehdorn dabei, dass die Bahn im Zuge der Reform ihre damalige Logistiktochter verkaufen musste, deren Lastwagen jetzt wertvolle Dienste leisten könnten.

Dass damit ein weiterer massiver Personalabbau verbunden ist, steht für Insider bei der Bahn fest – von 70000 gehen interne Schätzungen aus. Nicht auszuschließen, dass Sozialdemokrat Klimmt schon das nur vorläufige Negativszenario in die Öffentlichkeit lanciert hat, um den Mitgliedern der Eisenbahngewerkschaft Transnet den Ernst der Lage klar zu machen.

Not schweißt zusammen. Zumindest mit Dieter Vogel ist sich Mehdorn mittlerweile einig, dass die Bahn entgegen dem Rat vieler Experten die Herrschaft über das Netz behalten muss.

„Dass es zu der neuerlichen Krise gekommen ist“, mutmaßt ein maßgeblicher Aufsichtsrat, „kann man auch als fehlende Härte der bisherigen Vorstandsvorsitzenden interpretieren.“

REINHOLD BÖHMER, DANIEL DELHAES – 08.11.2000 13.50 Uhr

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